Unverständliches Stimmengewirr dringt durch die kleinen, halb geöffneten Fenster in das schwach vom Morgenlicht erhellte Zimmer. Lkw fahren vorbei, zumindest hört es sich so an, als seien es Lkw. Vermutlich sind es aber Oldtimer. Ich liege dösend in meinem Messingbett und rolle mich in mein Laken ein. Doch dann lässt mich eine Fehlzündung aufschrecken und endgültig wach werden. Mir wird bewusst: Ich bin in Kuba, in Havanna, und vor mir liegt eine drei Wochen lange Reise durch ein mir vollkommen fremdes Land. Ächzend richte ich mich auf. Wenn ich heute noch etwas sehen möchte, sollte ich wohl langsam aufstehen. Die Geräusche im Haus, die durch das kleine zum Flur gehende Fenster neben den Ventilator dringen, verraten mir, dass meine Gastgeber Mary und Miguel wohl schon seit einer Weile wach sind.
Als ich nach unten gehe, wuseln der Hund und der Kater – die ich im letzten Havanna-Beitrag ganz zu erwähnen vergessen habe – fröhlich um mich herum. Plötzlich stehe ich vor einer fremden Frau. In der Küche werkelt ein junger Mann. Miguel taucht grinsend auf, wünscht mir einen guten Morgen und fragt mich, ob ich gut geschlafen habe. Habe ich. Erstaunlicherweise habe ich unter dem Laken sogar ein wenig gefroren, obwohl ich die Klimaanlage gar nicht angeschaltet hatte. Miguel stellt mir kurz sein Team vor. In den kommenden Wochen wird klar, dass fast alle Casa-Besitzer eine “Staff” haben: andere Kubaner, die für sie die eigentliche Arbeit wie das Herrichten der Zimmer, die Zubereitung von Frühstück und anderen Mahlzeiten übernehmen, während die Besitzer sich um Wünsche und Fragen der Gäste kümmern. Die Arbeit mit Touristen beschert einen gewissen Wohlstand und dieser sichert wiederum die Jobs anderer Kubaner. Letztendlich sind Casas Particulares eben nichts anderes als kleine Pensionen und Hotels.
Nach dem Frühstück – wunderbar starker Kaffee, Baguette, Omelette, Bacon, Butter, Marmelade und Obst – mache ich mich auf den Weg, um Habana Centro und vielleicht auch Vieja zu erkunden. Die interessanten Sehenswürdigkeiten sind erstaunlicherweise gar nicht so weit entfernt, wie ich vermutet hatte. Die Stadt wirkt aber immer noch so zerfallen wie am vorherigen Tag. Die Menschenmassen, die mich zwei Straßenecken weiter erwarten, verwirren mich kurz, dann lasse ich mich treiben. Und schon stehe ich vor dem Hotel Telégrafo, direkt am Parque Central. Miguel hat mir eine Visitenkarte des Casas mitgegeben – für den Fall, dass ich mich verlaufe und nach dem Weg fragen muss. Ich fühle mich ein wenig wie ein kleines Kind. Aber ich bin alleine in einer fremden Millionenstadt und spreche die Sprache nur ansatzweise. Ganz verkehrt ist dieser Vergleich also nicht unbedingt.
Heute möchte ich mir nur einen Überblick verschaffen und vielleicht ein Museum oder ähnliches besuchen. Knapp 500 Meter von meinem Casa entfernt befindet sich das Theater, das Gran Teatro de la Habana. Ich habe in meinem Reiseführer gelesen, dass für 2 CUC Führungen durch das eklektische Gebäude angeboten werden. Zu meiner Enttäuschung erklärt mir der Mann am Eingang aber, es habe ein Feuer gegeben, das Theater werde renoviert und Führungen seien nicht möglich. Mehr verstehe ich nicht, brauche ich aber auch nicht. Besichtigung nicht möglich. Also gut. Ich ziehe weiter und gucke, was Havanna sonst noch zu bieten hat.
Direkt neben dem Theater steht das Capitolio Nacional, das dem Kapitol in Washington nachempfunden und tatsächlich auch etwas größer als es ist. Darin befindet sich die drittgrößte Indoor-Statue der Welt, die 11 Meter hohe Statue der Republik. Nachdem dort tatsächlich einmal der Kongress saß, beherbergt es heute die Nationalbibliothek für Wissenschaft und Technologie. Ich weiß bereits aus meinem Reiseführer, dass es vermutlich noch aufgrund von Renovierungsarbeiten geschlossen ist. Und selbstverständlich ist es das immer noch. Langsam beginne ich zu glauben, diese Stadt besteht größtenteils nur aus halb zerfallenen oder im Renovierungszustand befindlichen Gebäuden. Aber man kann die Atmosphäre einer Stadt ja auch einfach bei einem Spaziergang genießen. Dazu muss man nicht zwangsweise etwas besichtigen. Positiv denken.
Als ich ein paar Fotos mache, springt mir plötzlich eine fröhliche Frau mit einer Zigarre im Mundwinkel vor die Kamera. Nachdem sie mich mehrfach auffordert, ein Foto von ihr zu machen, gebe ich seufzend nach. Ich hätte sicher andere Fotomotive gewählt. Dann streckt sie ihre Hand aus und möchte für das Foto einen CUC. Mein Hals schwillt an. So etwas kann ich ja gar nicht leiden. Wenn sie wenigstens ordentlich gefragt hätte. Aber für ein Foto, das ich gar nicht machen wollte, zahle ich auch nicht. Irgendwie schaffe ich es, ihr das begreiflich zu machen und schmollend zieht sie von dannen. Ähnliches erlebe ich immer wieder auf meiner Reise, wenn auch nicht in dieser Heftigkeit. Menschen in traditioneller Kleidung mit Zigarren oder mit Instrumenten bieten sich als Fotomotiv vor malerischen Kulissen an. Hier ist aber meist klar, dass es ein Foto nur gegen Bares gibt – und das wird auch nicht aufgrdrängt.
Ich gehe durch den Parque Central Richtung Habana Vieja. Dort steht eine der unzähligen Statuen des Schriftstellers und Nationalhelden José Martí – angeblich die erste, die überhaupt aufgestellt wurde. Bei uns hätte dieser Platz mit den kleinen Grünflächen sicher nicht den Namen Park erhalten, denke ich. Ich werde in Havanna kaum noch einen Platz mit mehr Grün sehen, aber das weiß ich noch nicht.
Vorbei am Museo Nacional de Bellas Artes gehe ich in die engen Gassen der Altstadt und bahne mir meinen Weg durch das Gewusel aus Einheimischen und Touristen. Das soll die vielgerühmte Altstadt von Havanna sein? Das Weltkulturerbe? Ich bin irritiert. Hier unterscheidet sich kaum etwas von den Gassen, die ich bisher gesehen habe. Nur dass die Gassen schmaler sind und keine Autos fahren. Aber wenigstens komme ich endlich an einem Ort vorbei, den ich mir ansehen möchte und der nicht renoviert wird: der Apotheke Taquechel. Dort kann man auch heute noch (homöopathische) Medikamente kaufen, aber gleichzeitig ist der wunderschöne Laden aus dem 19. Jahrhundert ein Museum. Der Eintritt ist frei, ich werde aber von einer Dame um eine Spende für die Erhaltung der Apotheke gebeten. Da kann man natürlich nicht nein sagen. Dafür dürfen Touristen aber auch gucken und fotografieren soviel sie möchten. Die Apotheke ist sehr hübsch, länger als fünf bis zehn Minuten werden sich dort aber wohl höchstens Pharmazeuten aufhalten.
Dann habe ich sie erreicht: die Altstadt Havannas. Bisher habe ich mich tatsächlich nur in der Peripherie des Weltkulturerbes bewegt. Woran ich merke, dass ich mein Ziel gefunden habe? Ich stehe auf einmal im Disneyland. Oder im Phantasialand. So künstlich, neu und bunt sieht dieser Teil der kubanischen Hauptstadt aus. Außerdem sind kaum Einheimische zu sehen und die Touristen nahezu unter sich. Hübsch sind sie schon irgendwie, die restaurierten Gebäude und malerischen Gassen. Aber gleichzeitig eben auch künstlich und leblos. Erstaunt stelle ich fest, dass ich mich nach “meinen” verfallenen Fassaden und Straßenschutthaufen sehne. Nach dem wahren Havanna voller Leben und Energie. Also beschließe ich, einmal durch die Gassen zu schlendern, irgendwo etwas zu essen und dann wieder in das “richtige” Havanna zurück zu kehren.
Zufällig entdecke ich in den schicken Straßen ein altes Gebäude, das ein Keramikmuseum, Museo de la Cerámica, beherbergt. Der Eintritt ist kostenlos und so beschließe ich, zumindest kurz einmal reinzuschauen. Eine gute Entscheidung, denn dort wird moderne kubanische Keramikkunst ausgestellt, die zum Teil durchaus (kritisch) politisch ist. Obwohl mich Keramik eher weniger interessiert, bin ich von der Ausstellung begeistert. Und glaubt es oder nicht: Dieses Museum würde ich gerne noch einmal besuchen. Als ich das Gebäude verlasse, spende ich deshalb natürlich etwas für den Erhalt des Museums.
Weiter die Straße runter gelange ich zur Plaza de Armas, einem Platz am Rathaus, auf dem Händler Stände hauptsächlich mit spanischen Büchern zu sozialistischen Themen aufgebaut haben. Das sieht ganz malerisch aus, interessiert mich aber aufgrund der angebotenen Sprache eher weniger. Ich laufe also nur kurz durch die Reihen und gehe dann ins Museo de la Ciudad, dem ehemaligen Gouverneurssitz. Interessant finde ich den Holzboden vor dem Eingang. Der wäre mir übrigens nicht aufgefallen, wenn ich nicht eine Führung belauscht hätte. Eine der ehemaligen Gouverneursgattinnen muss sich von dem Lärm der Kutschenräder auf dem Pflaster so gestört gefühlt haben, dass sie tatsächlich ihren Gatten überreden konnte, den Belag der Straße austauschen zu lassen – wer weiß, was der Arme durchmachen musste, bevor er zustimmte. Aber ich würde mich sehr freuen, wenn wir das in Düsseldorf auch so machen könnten, dann würde ich sicher leichter eine neue, ruhig gelegene Wohnung finden.
Für 3 CUC Eintritt vermittelt das Museum eine durchaus interessante Übersicht über die Stadtgeschichte und präsentiert Möbel und Kunst aus verschiedenen Epochen. Der Innenhof ist wunderschön und hat mich eigentlich erst dazu gebracht, mir das Museum genauer anzuschauen. Normalerweise mache ich nämlich um Stadtmuseen einen weiten Bogen. Und so drehe ich auch hier nur gemütlich eine Runde, schaue mir wenige Ausstellungsstücke genauer an und trete dann wieder hinaus auf die Plaza de Armas.
Ich laufe durch die Gassen zurück. Dabei komme ich an der Catedral de San Cristóbal vorbei. Direkt um die Ecke befindet sich die Bar La Bodeguita del Medio, in der unter anderem Salvador Allende, Pablo Neruda und Ernest Hemingway gerne getrunken haben und die die Geburtsstätte des Mojito sein soll. Gemessen an der Anzahl der Etablissements in Havanna, in denen der amerikanische Nobelpreisträger getrunken haben soll, muss der arme Mann tatsächlich während seiner gesamten Zeit in Kuba stark alkoholisiert gewesen sein. Ein Blick in die eigentlich gemütliche Kneipe lässt mich schnell weiterlaufen: Unmengen von Touristen quetschen sich in den kleinen Raum, in dem darüber hinaus Musiker für die “richtige” Kuba-Atmosphäre sorgen.
Mir fällt ein, dass sich am anderen Ende des Platzes noch etwas befindet, das ich auf meiner Liste habe. Also wieder zurück zum Taller Experimental de Gráfica de La Habana, angeblich dem bedeutendsten Kunstatelier Kubas, das sich am Ende der Plaza de Cristobal in einer kleinen Sackgasse befindet. Unten sind einige Bilder ausgestellt, außerdem kann man einen Blick ins Atelier werfen. Über eine kleine Treppe an der Seite gelangt man in eine Art Verkaufsbüro, in dem unter anderem Lithografien hängen, die man kaufen kann. Endlich einmal ordentliche Souvenirs, denke ich, finde aber leider nichts, was mir gefällt und in mein Budget passt. Zudem habe ich ja in den nächsten Wochen noch ein paar Städte vor mir. Trotzdem kann ich einen Besuch im Atelier nur empfehlen. Vor allem für die Künstler unter Euch, denn dort werden auch (Gravur-)Kurse gegeben.
Aber nun wieder zum Touristengedöns: Ich spaziere in Richtung Malecón. Schließlich muss ein richtiger Kuba-Reisender dort gewesen sein. Und tatsächlich ist es so, wie man es aus Dokumentationen und Magazinen kennt. Kubanische Jungs mit nackten Oberkörpern hüpfen durch die Gicht der Wellen, die sich an der Mauer brechen. Auf der Straße fahren Oldtimer, Mofas und Fahrräder. Aber ansonsten… ist am Malecón eine riesige Baustelle. Nicht nur, dass ein Teil der Uferstraße gerade aufgebuddelt ist, nein, auch die Häuser entlang La Rampa sind baufällig. Einige werden gerade renoviert, aber der größte Teil hat deutlich unter der feuchten, salzigen Luft und jahrzehntelanger Vernachlässigung gelitten und verfällt weiter. Idylle sieht anders aus. Aber ich schätze ja das Morbide und so laufe ich eine Weile am Meer entlang. Richtiges Urlaubsgefühl will sich trotzdem nicht einstellen und so mache ich mich auf zum letzten Museum des Tages.
Das Museo del Ron liegt am Rande von Habana Vieja, in der Nähe des Fähranlegers. Ich habe gerade eine Gruppe verpasst, zahle 7 CUC Eintritt und werde schnell hinterher geschickt. Ein paar Minuten versuche ich, den Ausführungen der Mitarbeiterin zu folgen, doch dann stelle ich fest, dass ich viel zu viel nicht richtig verstehe und gehe zurück. Bis ich den Mitarbeitern an der Kasse klar gemacht habe, dass ich keine Französin bin und deshalb auch Französisch nicht ausreichend gut verstehe, vergehen ein paar Minuten. Aber dann werde ich zu der wartenden englischsprachigen Gruppe geführt. Nach kurzer Zeit geht es wieder los und wir gehen in den ersten Stock der hübschen Stadtvilla.
Wir erhalten Einblicke in die Geschichte des Zuckerrohranbaus, des Fassbaus, der Rumproduktion in Kuba und den Prozess der Rumherstellung generell. Eine relativ große Nachbildung einer Rumdestillerie samt Zuckerraffinerie ist besonders beeindruckend. Alles mit Lämpchen und zum Teil auch mit beweglichen Teilen ausgestattet vermittelt sie einen guten Eindruck, wie solche Unternehmen früher einmal ausgesehen haben. Danach geht es in die Destillierräume.
Nach nicht ganz einer halben Stunde ist die Führung bereits vorbei. Unsere Gruppe steigt wieder die Treppen hinab und jeder Teilnehmer erhält eine homöopathische Dosis Rum aus einem Plastikschnapsbecher. Ganz überzeugt er mich nicht, aber schließlich haben wir auch nicht den besten Tropfen des Hauses Havanna Club erhalten. Den kann man aber für mehrere tausend CUC im museumseigenen Shop kaufen. Obwohl dieses Angebot natürlich äußerst verlockend ist, greife ich nicht zu. Allerdings gibt es im Shop einige, günstigere, Sorten, die in Europa beziehungsweise außerhalb Kubas nicht zu haben sind. Ausgefallene Mitbringsel für Rumfreunde, wenn auch sicher nicht allerbeste Qualität. Übrigens gehört das Museum der Firma Havana Club. Die Familie Bacardi – deren wunderschönes Art Déco-Unternehmensgebäude immer noch existiert – hat sich vor Jahrzehnten in die USA abgesetzt und ihr Rum ist deshalb ein in Kuba unerwünschtes und nicht zu findendes Produkt.
Ich bin kaputt – und von dem Fingerhut voll Rum tatsächlich auch leicht beschwipst. Außerdem steckt mir der Flug immer noch in den Knochen und ich bin einen Tag lang kreuz und quer durch die Innenstadt gelaufen. Also gehe ich zurück zu meinem Casa. Inzwischen kenne ich den kleinen Schutthaufen und weiß genau, wo ich lang laufen muss. Irgendwie habe ich das Gefühl, nach Hause zu kommen. Das ging aber schnell, denke ich erstaunt. Als der Hund bellend und schwanzwedelnd auf mich zustürmt und ich ihn durchknuddele, tauchen Marys Mutter und Miguel auf. Beide stehen grinsend im Flur. Miguel meint, dass mich der Hund schon liebe. Und das Essen sei übrigens gleich fertig. Ich kuschele mit Hund und Kater und sage Miguel, dass ich mich nur noch kurz frisch machen möchte. Ich habe ein kubanisches Zuhause.
Empedrado No. 207 La Habana Vieja Tel.: + 53 (7) 8624498, 8618442 Öffnungszeiten: täglich 12.00 bis 0.45 Uhr Taller Experimental de Gráfica de La Habana Callejón del Chorro 62, Plaza de la Catedral
La Habana Vieja Tel.: +53-7-8620979 E-Mail: tgrafica@cubarte.cult.cu Öffnungszeiten: Mo bis Fr, 9.30 bis 16 Uhr El Malecón Avenida de Maceo La Habana Centro El Museo del Ron Havana Club
Avenida del Puerto 262, esq. Sol La Habana Vieja
Tel: +53 (7) 861 8051 / 862 4108
E-Mail: contacto@museo.havanaclub.cu Öffnungszeiten Museum: täglich 9.30 bis 17.30 Uhr
Öffnungszeiten Havana Club Bar: täglich 9.30 bis 24.00 Uhr Edificio Bacardí
Avenida de Bélgica No. 261 zw. San Juan de Dios und Empedrado La Habana Centro Öffnungszeiten: unterschiedlich
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